Bioland-Bauer Thomas Hägele aus Bühlertann züchtet Tomaten. 160 Sorten hat er*im Angebot. In seinem Hofladen gibts nichts, was es rund um die Tomate nicht gibt.

MICHAELA CHRIST

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Im Mai haben die Tomaten erstmals Hochsaison. Nicht die Früchte, los geht"s mit den Pflanzen: dunkelgrüne, zwanzig Zentimeter hohe Stauden mit kräftigem Stängel, die bereits nach Tomate riechen, wenn man die Nase nur tief im Blätterwerk vergräbt.



Genau das tun Margitta Lukas-Filarowski (44) und ihr Lebenspartner Pedro Valdez (49) aus Goldbach bei Crailsheim: Den Hauch der Tomatensaison einatmen. "Ich rieche die Pflanzen schon gern", sagt der aus Texas stammende Valdez und greift nach einem Stock der Sorte Hillbilly. Und warum diese Sorte? "Wegen des amerikanischen Namens. Ein Hillbilly ist einer, der in sich und für sich lebt", versucht der Amerikaner den deutschen Begriff Hinterwäldler zu umschreiben. Seine Freundin lacht herzlich auf. "In seinem Fall könnte man sie auch mit Heimweh übersetzen!", sagt sie mitfühlend und stellt den Hillbilly zu den anderen, bereits ausgewählten Tomatenpflanzen.

Valdez lebt erst seit einem Jahr in Deutschland. Der große Garten beim Haus ist für den texanischen Frührentner derzeit das Nonplusultra: Therapie gegen Heimweh, Lebenselixier, Spaß, Arbeit und Hobby in einem. Allerdings ein saisonales Hobby, dessen Betriebszeit im Spätherbst nach der Ernte endet und im Frühjahr mit der Neuanpflanzung wieder losgeht.

Für Tomatenzüchter Thomas Hägele beginnt die Saison im März mit dem Aussäen der Sorten. Schon nach einer Woche sprießen die Pflänzchen aus dem Boden, wachsen schnell und brauchen Platz. Biotomaten ohnehin, denn sie werden im Gegensatz zu konventionellen Pflanzen nicht mit Chemikalien klein gehalten. Platz schafft das Vereinzeln - im Gärtnerjargon Pikieren genannt - und knapp eine Woche später das Eintopfen in vier Zentimeter große Plastiktöpfe.

Tomatenpflanzen, so weit das Auge reicht. Vor den Folienhäusern, in den Folienhäusern, auf dem Boden oder in Blickhöhe auf langen Pikiertischen. Bunte Täfelchen stecken in den Kisten, sorgen für Über- und Einblick. Schnell wird klar: Tomate ist hier nicht gleich Tomate! Hägeles Sortiment ist vielfältig. König Humbert ist eine alte Sorte, TinyTim eine moderne Cocktailtomate. Es gibt Pflanzen, die kleine oder große, runde, ovale und gar herzförmige Früchte tragen werden. Und beileibe nicht mehr nur noch in tomatenrot, sondern von weiß, gelb über grün, orange, violett bis hin zu dunklem braun und schwarz wachsen die Tomaten heran. Wer möchte auch gestreift, marmoriert, in gerippter oder gezackter Form.

Es ist ein Sortiment der Sonderklasse. Entsprechend rollen die Interessenten zur Pflanzzeit der Tomaten fast im Konvoi gen Bühlertann und geben sich in der Ziegelstraße die Klinke in die Hand. "Für den Hobbygärtner fängt die Saison bei der Auswahl der Bepflanzung an", erklärt Margitta Lukas-Filarowski. Bei Hägele könne man diesen Event aber toppen, denn hier gehe es nicht nur um die Anzahl der Tomatenstöcke die man brauche, sondern auch um die Sorte. "160 verschiedene Sorten sprechen eine klare Sprache", lobt die Goldbacherin und fährt mit ihrem Zeigefinger die Tomatenliste von Hägele ab.

Die meisten Kunden kämen ohne vorherige Auswahl auf der Internetseite, berichtet Hägele. Ihnen gehe es um das sinnliche Erlebnis vor Ort, das Abschreiten der vielen Tomatenkisten, die durch Hinweisschilder gekennzeichnet sind. Jeweils mit einem Foto der reifen Frucht und einem Geschmacksverweis.

Neu im Angebot ist Sankt Ignazius, eine ehemals regional verbreitete Tomatensorte mit großen roten Früchten. Auch die neue Beuteltomate aus El Salvador in Mittelamerika, deren gelborange farbige Tomate einem zugeschnürten Tabakbeutel gleicht, stoße auf reges Interesse. Und dann gehe so gut wie niemand vom Hof ohne Cocktailtomate. "Das Naschgemüse eignet sich prächtig für den Balkon und ist damit stadttauglich", erklärt sich Hägele den Run auf die kleinen, meist süßlich schmeckenden Cherrytomaten.

Hägele arbeitet nach den Bioland-Auflagen, das heißt ohne synthetische Pestizide und chemisch-synthetischen Stickstoffdünger. Was für ihn Überzeugungssache ist, verbuchen seine Kunden gerne unter Qualität. Ist Bio aber wirklich Qualität?

Dahinter stecke die alte Geschichte vom Sein und Schein der Dinge, holt der Bioland-Bauer aus. Und zählt erst einmal die Vorzüge der chemischen Zusatzbehandlung auf: "Chemie sorgt bei Lebensmitteln für ein längeres Haltbarkeitsdatum und ein perfektes Aussehen." Damit der Schein stimme, den der Käufer im Laden sehe und dann überwiegend ja auch kaufe. Überwiegend heißt statistisch gesehen 96,3 Prozent. Denn trotz leichter Steigerung des Bioumsatzes lag der Bioanteil am gesamten Lebensmittelmarkt im letzten Jahr bei nur 3,7 Prozent. Sprich, unter 27 Tomaten, die über den Ladentisch gehen, ist nur eine einzige Bio.

Nur eine oder immerhin eine? Oder müsste die Frage nicht heißen: Warum überhaupt eine? Weil hinter jedem Schein ein Sein stecke, grinst der Biobauer. Und sollte eine Tomate nicht sein, wie sie schon immer war? "Qualität ist das ganze Paket und dazu gehört bei Lebensmittel ganz klar auch Geschmack", sagt Hägele. Dann greift er nach einer Berner Rose in der Auslage, beißt kräftig hinein und leckt sich genüsslich mit der Zunge das entweichende Fruchtfleisch von den Lippen. "Süßlich, fleischig, saftig! Genau so haben Tomaten geschmeckt, als wir noch Kinder waren", sagt der Bioland-Bauer zufrieden.